Die meisten von uns verbergen oder unterdrücken ihre wahren Gefühle, um besser, fitter, schlauer, anerkannter oder beliebter zu wirken.
Wir haben verlernt, unsere Gefühle – besonders die unangenehmen – als Zeichen dafür zu deuten, dass…
…etwas in unserem Leben in eine falsche Richtung läuft oder etwas nicht oder nicht mehr stimmt
…wir krank sein könnten
…eine Lebensentscheidung überfällig ist
…wir einfach einmal etwas Ruhe für uns bräuchten.
Vielleicht haben wir ein komisches Bauchgefühl, ein Kribbeln in den Beinen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder ein Herzziehen, begeben uns auf die Suche nach einer schnellen und möglichst schmerzfreien Lösung im Außen und gehen trotzdem weiter unseren Alltagstätigkeiten nach.
Wir lenken uns ab oder betäuben uns…
…mit Social Media, Streaming-Diensten, mit Computerspielen, Influencer-Videos, übermäßigem Freizeitaktionismus, Shopping, häufigem Partnerwechsel, dem Basteln an der großen Karriere, Medikamenten, Alkohol oder anderen Suchtmitteln, exzessivem Sport, fleißigem Abarbeiten von To-do-Listen und vielem mehr.
Und wir rackern uns ab…
…in unseren Berufen und Familien oder im Ehrenamt, nicht selten bis zur Erschöpfung.
Das tun wir so lange, bis die unangenehmen Gefühle stärker und schmerzhafter werden und diese als Ruf der Seele lauter werden. Vielleicht wird dieser Ruf irgendwann so laut, bis er nicht mehr überhört werden kann?
Vielleicht sollten wir deshalb öfters in uns hineinspüren, um aufkommende Gefühle wahrnehmen zu können. Sie könnten uns ein sinnvoller Ratgeber oder Richtungsweiser sein.
Gefühle sind zum Fühlen da – ja, auch die unangenehmen.
Deshalb kann es sich manchmal lohnen, einen Blick hinter die Fassade der guten Laune zu wagen, hin zu den tiefer liegenden Gefühlen. Sie könnten weise Lehrmeister sein und uns vor Situationen schützen, die vielleicht in der Folge noch unangenehmer zu ertragen wären.
Angenehme Gefühle wie Freude, Glück, Erregung u.a. zu fühlen, fällt uns leicht. Ignorieren wir jedoch die unangenehmen, drängen sie sich mit zunehmender Macht auf. Das passiert so lange, bis wir sie nicht mehr aus unserem Bewusstsein verbannen können. Spätestens dann müssen wir einen Umgang mit ihnen finden, was mitunter ein schmerzhafter Prozess sein kann.
Dann doch lieber gleich beachten, oder?
Hier sind meine 10 erprobten Strategien für den Umgang mit unangenehmen Gefühlen:
1. Stoppe deine Gedankenströme:
Frage dich:
Welcher Gedanke hat dieses Gefühl ausgelöst?
Unterbrich diesen Gedankenstrom mit einem lauten und energischen „STOPP!“
Welche Situation hat dieses Gefühl ausgelöst?
Entferne dich aus dieser akuten Situation und begib dich an einen angenehmen Ort – notfalls in deiner Vorstellung.
2. Schaffe dir deinen sicheren Ort:
Stelle dir eine Situation oder einen Ort vor, wo du dich ganz besonders gut und wohl fühlst. Male diese Situation/den Ort auf – du kannst dafür auch einfache Symbole oder Farben nehmen, die angenehme und warme Gefühle in dir auslösen.
Beame dich bei einem starken unangenehmen Gefühl genau an diesen Ort.
Dasselbe geht mit einem Menschen: eine real existierende Person, eine warmherzige verstorbene Verwandte oder eine wohlwollende „gute Fee“, die dir den Rücken stärkt, deine Hand hält oder dich in den Arm nimmt.
3. Finde ein Ventil für unangenehme Gefühle:
- einen Lieblingsmenschen anrufen
- ein intuitives Bild oder Mandala malen
- ein Maltagebuch führen
- einen Brief an dich selbst oder eine Vertrauensperson schreiben (muss nicht abgeschickt werden)
- Tagebuch schreiben
- Karaoke singen
- endlich mal wieder ein Musikinstrument auspacken und zu einem Playalong spielen
- ein neues Koch- oder Backrezept ausprobieren
- vor die Türe gehen und sich im Freien bewegen
- Yoga oder Autogenes Training
4. Beruhige dich mit weisen Worten oder beruhigenden Mantras:
„Ein Gefühl ist nicht lebensbedrohlich.“
„Ist dieses Gefühl gerade REAL?“
„Ist dieses Gefühl gerade sinnvoll und hilfreich?“
„Dieses Gefühl ist nur ein Irrtum meines Nervensystems.“
„Ich habe die Macht, dieses starke Gefühl zu kontrollieren.“
„Ein starkes Gefühl dauert höchstens 90 Sekunden, bevor es wieder schwach wird.“
„Ich schaffe es, dieses Gefühl mit Hilfe meines Atems anzunehmen.“
5. Bringe deinen Atem unter Kontrolle:
Atme tief durch die Nase ein (zähle bis 4).
Halte den Atem an (zähle bis 6) und
atme dann anschließend langsam aus (zähle bis 10)
Wiederhole das so lange, bis sich dein Herzschlag beruhigt hat
6. Bringe dich ins Hier und Jetzt:
Sammle jeweils fünf Dinge, die du jetzt im Moment…
…siehst:
„Ich sehe eine weiße Blume, ich sehe das blaue Auto…“
…hörst:
„Ich höre die Vögel zwitschern, ich höre Autos fahren, ich höre Kirchenglocken…“
…fühlst:
„Ich fühle den Boden unter meinen Fußsohlen, ich fühle das Kribbeln in meinen Händen, das Polster unter meinem Gesäß…“
7. Aktiviere deinen Vagusnerv*:
Überkreuze deine Arme vor deinem Oberkörper.
Klopfe 10mal mit der rechten Hand auf dein linkes Schlüsselbein.
Dann klopfe 10mal mit der linken Hand auf dein rechtes Schlüsselbein.
Wiederhole das so lange, bis sich dein Körper beruhigt hat.
8. Lerne Progressive Muskelentspannung (Jacobsen):
Zum Beispiel:
Balle mit aller Kraft deine Hände zu Fäusten.
Krümme deine Füße und Fußzehen so stark du kannst.
Verziehe dein Gesicht, als ob du in eine Zitrone beißen würdest.
Spanne alle Muskeln deines Körpers ganz bewusst und ganz stark an.
Halte diese Spannung für zehn Sekunden und…
…lasse dann ganz abrupt los. Spüre nach.
9. Informiere dich über Japanisches Heilströmen (Jin Shin Jyutsu)*
Zum Beispiel:
Drücke mit deinem rechten Daumen auf den Mittelpunkt deiner Handinnenfläche und halte ihn. Atme langsam und lange aus.
Konzentriere dich auf das warme Kribbeln in deiner Handinnenfläche und spüre wie sich dein System beruhigt.
Oder:
Halte mit der rechten Hand deinen Zeigefinger der linken fest umschlossen. Atme langsam und lange aus.
10. Setze Skills* ein:
Führe ein scharfes Bonbon oder eine Brausetablette mit dir, was du bei Bedarf schnell in den Mund stecken kannst.
Trage ein Gummiband um das Handgelenk, das du bei zu hohem emotionalen Druck schnalzen lassen kannst.
Ein wichtiger Hinweis zum Schluss:
Treten Gefühle wie z.B. ein diffuser SCHMERZ, immer wieder auf, ist der fachärztliche Dienst die nächste Anlaufstelle, um nach eventuellen organischen Ursachen zu suchen.
Werden organische Gründe ausgeschlossen, können auch psychosomatische Ursachen für starke unangenehme Gefühle vorliegen. In diesem Fall sollte therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden, um tiefer liegende Blockaden oder traumatische Umstände zu ergründen.
*Textquellen:
https://www.dachverband-dbt.de/ddbt/was_ist_dbt
https://www.onmeda.de/gesundheit/anatomie/vagusnerv-id203312
Bildquelle:
https://www.pexels.com/de-de/foto/gesund-mann-athlet-sportler-6798387
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Im November erscheint mein Buch „Wer leben will, muss fühlen – ein Weg aus Burnout und Panik zurück in ein erfülltes Leben“, in dem ich mehr von mir teile, z.B. auch, wie ich es geschafft habe, meine Panikattacken und Ängste in den Griff zu bekommen und wie ich heute besser mit unangenehmen Gefühlen umgehen kann.
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