Welches Gesicht haben psychische Erkrankungen?

Veröffentlicht am: 19. Januar 2025

Welches Gesicht haben psychische Erkarnkungen

“Das hat man dir gar nicht angesehen!”

“Wenn ich das gewusst hätte…”

“Wieso hast du nichts gesagt?”

Das sind Sätze, die ich in letzter Zeit vermehrt zu hören bekomme, aus meinem Bekanntenkreis, von meinen Chorkollegen und auch aus meiner entfernt lebenden Ursprungsfamilie. “In letzter Zeit”, damit meine ich die vergangenen sechs Wochen, seit ich meine Geschichte – zwischen zwei Buchdeckeln verdichtet - veröffentlicht habe. Unfassbare sieben Jahre sind vergangen, seit mich meine dritte Panikattacke zuerst in die Notaufnahme und später für sieben Wochen mit der Diagnose Burnout, mittelgradige Depression und Panikstörungen in die “Psychosomatische” katapultiert hatte.

Was mich damals ohnmächtig fühlen ließ, betrachte ich aus heutiger Sicht mit großer Dankbarkeit. Das heißt natürlich nicht, dass ich jedem eine psychische Krise empfehle - KEINESFALLS. Doch für mich war sie rückblickend ein Segen, ein unsanfter “Aufrüttler” und Schubs in die richtige Richtung: zu mehr innerer Ruhe, Selbstbewusstsein und Lebendigkeit. Und zu einem bewussteren Alltag mit mehr Sinnhaftigkeit.

Heute tut es mir leid, wenn Menschen meines Umfelds ein schlechtes Gewissen haben, und die Fehlannahme, sie hätten damals mehr tun können…wenn sie ES gewusst hätten.

Hatten sie aber nicht. Zumindest nicht in Details. Dafür hatte ich schließlich eigenmächtig eifrig gesorgt. Mir ging es schließlich nicht rund um die Uhr so übel, vor allem im Chor nicht, denn Singen war damals eines der wenigen Ventile, die mir noch Linderung bringen konnten. Und die Anwesenheit meiner Lieblingsmenschen, die – obwohl sie nicht alles verstanden – trotzdem für mich da waren, und heute noch sind. Ein Segen.

Schuldgefühle führen zu nichts, außer zu neuen unangenehmen Gefühlen. Niemand hat Schuld, wenn sich eine ungünstige Mischung aus (Epi-)Genetik, ungesunden Annahmen, Perfektionismus, äußeren Nackenschlägen und miserablen Angewohnheiten verselbständigt und zu einer handfesten Psychokrise mutiert.

In diesem Zusammenhang gibt es keine Schuld. Höchstens VERANTWORTUNG. Nämlich meine eigene, weil ich so viel Raubbau betrieben habe: an meinem Körper, meiner Seele, meinem Selbstwert. Weil ich nicht achtsam genug mit mir selbst umgegangen bin.

Auch wenn ich mich oft einsam und verloren geglaubt habe, weiß ich heute, dass ich einen großen Eigenanteil daran hatte. Doch damals wusste ich es nicht besser, sonst hätte ich das den Menschen meines Umfelds mitteilen können. Ja, das wäre vermutlich besser gewesen als mich mit Scham- und Minderwertigkeitsgefühlen, Ängsten vor weiteren Ängsten und all den fiesen Körpersymptomen in mich hineinzukriechen.

Wie sehen Menschen aus, die in einem psychischen Loch hängen? Gibt es ein typisches Gesicht für eine Depression oder Angststörung? Ist es betroffenen Personen anzumerken, wenn ihr Innerstes im Chaos steckt, ihr Gehirn in zwanghafte Gedankenkreisel verstrickt ist oder ihr Herz sich leblos anfühlt? Jein.

Wenn niemand unmittelbar Zeuge einer Panikattacke wird, sind psychische Symptome oft von außen nicht erkennbar.

Was können Angehörige und Freunde tun, wenn sie Signale in ihrem Umfeld erkennen? Vielleicht könnten sie auf subtile Veränderungen und Zwischentöne achten. Vorsichtig nachfragen, falls der Freund vermehrt nicht zum Training oder die Schwester nicht zum Familientreffen kommt und seltsame Begründungen mitliefert. Oder wenn die Nachbarin mit ihren Kindern nach dem Schultransfer im Haus verschwindet, anstatt sich für den Spielplatzplausch zu verabreden.

Das Foto über diesem Bericht stammt übrigens aus jener Zeit 2019, in der ich besonders belastet war, während einer Chorreise nach Salzburg, zwei Wochen vor meinem Klinikaufenthalt.

Offensichtlich sah man mir meine Erkrankung tatsächlich nicht an, so wie man es vielen anderen auch nicht ansieht, die betroffen sind oder betroffen waren.

Umso wichtiger ist es, dass möglichst viele, die den Weg hinausgefunden haben, JETZT ihr Gesicht zeigen, damit andere ihres nicht mehr verstecken müssen.

Wenn Du die Geschichte hinter meinem Gesicht erfahren möchtest: "Wer leben will, muss fühlen"