Veröffentlicht am: 02. Juli 2025
Ich liebe es, zu reisen. Auf meiner 53-jährigen Lebensreise bin ich schon viel herumgekommen: meine Erinnerungsliste ist gefüllt mit Bildern vieler besonderer Orte und Begegnungen mit Menschen und Kulturen Europas und anderer Kontinente.
Gemeinsam mit meiner Vorfreude, Offenheit und Neugier stecken im Gepäck immer auch zahlreiche Bedenken und Ängste. Dennoch war das Bedürfnis zu reisen bisher jedes Mal stärker als diese emotionalen Störfaktoren. Eine Ausnahme gab es: die schlimmste Phase meines Burnouts, in der mehrere Ängste überhandnahmen und sich auf bisher unbelastete Situationen ausgeweitet hatten.
Meine Therapien, die Ausbildung zur Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie, unzählige Bücher und Podcasts haben dafür gesorgt, dass sich Ängste und Panik heute nicht mehr verselbstständigen und mein Alltag wieder ausreichend unbelastet ist.
Zahlreiche Entspannungstools und zusätzliches Wissen habe ich mir im Laufe der Zeit angeeignet, was mir meine Selbstbestimmung und Zuversicht zurückgegeben und mir in Angstsituationen die Ohnmacht genommen haben.
Nur eine „Baustelle der Angst“ ist geblieben: die Flugangst. Sie begleitet mich bis heute, mal mehr mal weniger stark, sobald ich in einem Flugzeug sitze. Mittlerweile gelingt es mir, die auftretenden Angstsymptome mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Dabei bin ich gleichzeitig erstaunt, wieviel Macht sie immer wieder über mich haben.
Kürzlich war es wieder soweit: Zehn Tage entspannter Kanarischer Inselurlaub lagen hinter mir… Auf dem Hinflug hatte die Vorfreude auf den Urlaub meine aufploppenden Angstsymptome übertüncht, obwohl sogar die Anschnallzeichen wegen Turbulenzen an der französischen Atlantikküste vorsorglich angeschaltet worden waren. Ich war stolz.
Anders auf dem Rückflug…
Ein kleiner Rand-Fakt: nur wenige Tage zuvor war in Indien eine Boeing mit gut 240 Menschen aus bisher ungeklärten Umständen abgestürzt: nur ein Mensch hatte überlebte.
Als wollte mich jemand herausfordern, kam unser Flugzeug bereits mit zwei Stunden Verspätung aus Deutschland auf der Insel an.
“Wegen eines technischen Problems mussten wir umkehren; die Kraftstoffanzeige eines Triebwerkes musste am Boden getauscht werden. Aber wir sind ja jetzt gut hier angekommen…” würde die Stimme des Kapitäns später aus dem Lautsprecher in die Kabine flachsen.
Sollte mich das etwa beruhigen? Was, wenn das eingebaute Teil nach vier Stunden Flug - ausgerechnet auf unserer Rückreise nach Deutschland - wieder herumzickt?!
Meine üblichen Vernunftsätze wie “Fliegen ist viel sicherer als Autofahren und Radtouren” und “Es sind alle gut geschult“ oder „Die Technik ist heutzutage besser denn je” wechselten mit dem Bild, das ich aus Flightradar24 mit der Masse aus gelben Displayflugzeugen im Kopf habe.
Doch - verflixt nochmal - kaum stand ich vor dem Boardingschalter, war ES wieder da:
das Ziehen, in Wellen, links oberhalb des Herzens, sich ausbreitend rings um das Herz, dann hinunterwandernd zur linken Seite des Magens. Gedankennebel, unbewusstes Schulter-nach-oben-Ziehen und Luft-Anhalten, ein Bedürfnis, tief Luft einzuatmen, Geräusche gedämpft, Kribbeln auf Kopfhaut, Nackenverspannung.
Es wiederholte sich das bekannte Szenario:*
Je näher ich der Tür zur Flugzeugkabine komme - “Gleich gibt es kein
Zurück mehr” - umso mehr verstärkt sich das Ziehen. Mein Herz klopft
immer wilder, mein Magen verkrampft, ich habe den Impuls, laut die Luft
auszuprusten.
An meinem Platz kam mir wieder der Gedanke:*
„Auf welchem Sitz überlebt man ein Unglück am ehesten?“
*Kinderschreien zerrt an meinen Nerven, Hitze im Kopf, Mund wird
trockener,
ein Kribbeln breitet sich in meine Beine aus, die immer weicher
werden.
Ich versuche alle negativen Sätze aus meinem Hirn zu verbannen, all die Bilder vergangener Nachrichten und Katastrophenfilme - obwohl ich sie seit vielen Jahren zu verdrängen versuche, sind diese sehr hartnäckig.*
Gibt es verräterische Geräusche? In der Gepäckablage klappert etwas!
Rieche ich einen beißenden Geruch, fühle ich ihn meine Augen reizen?
Meine Sinne sind geweitet, mein Blick fixiert das Gesicht des Flugbegleiters vor mir, sehnt sich nach jeder winzigen menschlichen gar fröhlichen Gesichtsmimik.*
*Meine rechte Hand gräbt sich unter meine linke Brust, um den Herzschlag zu fühlen, als ob ich ihn beruhigen wolle, meine linke Hand spielt nervös mit der Unterlippe…
Der Start ist geschafft… “Start und Landung sind die kritischsten
Situationen beim Fliegen”. Ich straffe mich allmählich, fasse
Vertrauen… Bleibt die bange Frage:
Wird es wieder Turbulenzen geben?*
Mein ganzer Körper ist angespannt, bei jeder Bewegung des Flugzeugs
scheint mein Magen unter den Vordersitz zu rutschen, meine Füße
kribbeln, die Lippen kleben, die Mundwinkel sind nach unten gerichtet,
meine Spucke schmeckt bleiern.
„Verflixt nochmal, wieso passiert mir das trotz ausreichender Erfahrung
immer wieder?“
Dennoch stellte ich fest: meine Flugangst ist um ein Vielfaches besser geworden. Diesmal wurde ich weder panisch, noch bekam ich Atemnot oder hatte den Impuls, die Stewardessen verzweifelt um Linderung oder ein beruhigendes Präparat anzuflehen!!
Also machte ich tapfer meine Entspannungs- und Atemübungen. Auf diese war tatsächlich in diesem Ausnahmezustand wieder Verlass.
Außerdem widerstand ich der Versuchung, die Reihen wie gewohnt nach weiteren bangen Gesichtern wie dem meinigen abzuzählen –
„1,2,3,4, statistisch leidet jeder vierte unter Flugangst…“
Plötzlich kam mir die geniale Idee, diese Situation umzudeuten – quasi
als „Challenge“ zu nutzen - und etwas Hilfreiches daraus machen:
ich beschloss, meine ganz persönliche Erfahrung mit den Angstsymptomen
aus erster Hand an andere Betroffene weiterzugeben – „…vorausgesetzt
ich würde wohlbehalten auf dem Boden landen…“
Und so probierte ich etwas Neues:
Ich zog mein Maltagebuch und die Stifte, die ich vorsorglich ins
Handgepäck gesteckt hatte, heraus und begann, einen Stift auf das Papier
aufzusetzen. Während des Starts bewegte ich ihn intuitiv zu den Wellen
meiner Angstgefühle über das Papier, sekundenlang, minutenlang, so
lange, bis nach ungefähr 20 Minuten die Anschnallzeichen erloschen
waren.
Ich widerstand dem Impuls, das Gekrakel zu bewerten oder mich
umzudrehen, ob mir jemand heimlich und erwartungsvoll über die Schulter
schaute, um sich dann enttäuscht abzuwenden.
Anschließend begann ich, das entstandene Gebilde mit anderen Stiften
auszugestalten, so lange, bis es Plastizität und Form annahm.
Neugier machte sich breit und überlagerte meine unangenehmen Gefühle:
Was würde letztendlich entstehen? Welche Gestalt würde meine Angst haben?
Als ich nach einer guten Stunde aus meiner Mal-Flow-Trance erwacht war, befand sich unser Flugzeug längst über Portugal. Ich hatte weder Turbulenzen noch Luftlöcher gespürt, war nur im Hier und Jetzt - die Angst war wie weggeblasen.
Heute schaue ich bewusst auf das Ergebnis dieser Mal-Session über den Wolken: Ich erkenne ein Gebilde, das aussieht wie ein Magen-Darm-Trakt – richtig, dort spüre ich meine unangenehmen Gefühle besonders. Einen lilafarbenen Strich interpretiere ich als meine Angst, die sanft in einer Art Höhle umschlossen ist - hatte ich sie durch das intuitive Malen besser annehmen und integrieren können?
Auch wenn es keine Garantie ist, dass die Angst beim nächsten Flug wegbleibt, so habe ich nun ein weiteres Tool, das mir hilft, sie in einem erträglichen Zustand zu halten, ohne mit völlig zerfledderten Nervensystem am Ziel anzukommen. Wieder einmal wird mir klar: ein Leben OHNE Angst wird es niemals geben, doch eines, in dem wir gelernt haben, mit ihr umzugehen.
Ja, meine Liebe zum Reisen darf weiter wachsen – und ich wachse mit.