Sich selbst sabotieren Kunsttherapie und Psychotherapie (nach dem Heilpraktikergesetz)

Ist Selbstliebe egoistisch? Wie du aufhörst, dich selbst zu sabotieren

„Hey, ich finde, du siehst heute echt klasse aus!“ Wie reagierst du, wenn du dieses überraschende Kompliment oder ein Lob für eine Leistung erhältst? „Dein Schokokuchen schmeckt genial!“ oder „Dieses Bild ist dir super gelungen!“ Kannst du das mit einem Lächeln und einem einfachen „Danke“ annehmen? Oder schwächst du es lieber ab mit „Ach, echt? Das war aber ein ganz einfaches Rezept“ oder „Du siehst aber auch ganz toll aus!“

Seit einigen Jahren taucht auf den Titelseiten renommierter Frauenzeitschriften der Begriff SELBSTLIEBE auf. „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ (Eva-Maria Zurhorst, 2009) und „Liebe kann alles: Wie du mit deiner weiblichen Kraft zur Schöpferin deines Lebens wirst“ (Eva-Maria Zurhorst, 2022)*, so lauten die Titel zweier Bücher, die ich nach anfänglicher Skepsis verschlungen habe, als ich eine schwierige Psychokrise überwunden hatte und neue Ziele finden wollte. Sie handeln davon, wie Frauen zu sich selbst zurückfinden und lernen, ihr Leben nach ihren Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten. Ich erhielt dadurch die Motivation, Stärke und Zuversicht aus meiner herausfordernden Lebensphase zu ziehen und mich selbst mehr wertzuschätzen. So las oder hörte ich beim Friseurbesuch oder am Bahnhofskiosk, dass wir uns selbst lieben dürfen, damit wir auch andere lieben und uns mit uns selbst wohlfühlen können. Im Prinzip leuchtete mir das ein. Wie viele meiner Mitmenschen hatte ich gelernt, dass ich lieber bescheiden und keinesfalls angeberisch wirken sollte.

Bis zu meiner Krise. Akute psychische Ausnahmezustände wie Burnout, Depressionen, Ängste oder Panik gehen fast ausnahmslos mit einem Verlust des Selbstwertgefühls einher.

Auch ich hatte diesen einen Aspekt der Liebe bis zu meinen Mittvierzigern sträflich vernachlässigt: Die Fähigkeit, MICH SELBST zu lieben. Doch wie sollte das gehen? Ist das nicht anmaßend oder egoistisch, sich selbst lieben zu wollen? Oder ist es gar – um ein inflationär gebrauchtes Modewort zu verwenden – „narzisstisch“?

Vielleicht fällt es manchen leichter, von SELBSTANNAHME zu sprechen: Sich selbst mit Ecken und Kanten anzunehmen, wertzuschätzen und zu erlauben, eigene Bedürfnisse hin und wieder über die Wünsche und Erwartungen anderer, sogar auch über jene der geliebten Menschen im direkten Umfeld, zu stellen. Ist das egoistisch? Vermutlich nicht.

Die Realität in meinem persönlichen und therapeutischen Umfeld ist: Die meisten von uns neigen tagtäglich zu SELBSTSABOTAGE. Von der Grundbedeutung im Duden* heißt Sabotieren u.a. „vereiteln, zunichtemachen, zu Fall bringen, behindern, bekämpfen (…)“

Zu Fall bringen und zunichtemachen? Ernsthaft?! Kämpfen wir tatsächlich lieber eine Schlacht gegen uns selbst, anstatt uns zumindest „ganz okay“ zu finden?

Einer meiner Lieblingssprüche ist „Was Tanja über Lisa sagt, sagt mehr über Tanja aus als über Lisa“ (Namen sind austauschbar). Ich äußere ihn oft gegenüber Klienten: Z.B. berichtete mir eine Klientin, dass sich ihre Kollegin im Beisein des Chefs negativ über sie ausgelassen hätte. Sie war frustriert und wütend darüber, weil sie in diesem Moment sprachlos und ohnmächtig zurückgeblieben war. Sie fragte sich, was sie falsch gemacht haben könnte. Ob die Kollegin sie nicht leiden könne. Ob sie etwas übersehen hätte? Sie zweifelte an ihrer eigenen Wahrnehmung und suchte den Fehler bei sich selbst und nicht bei der Kollegin. Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit vor den Augen ihres Chefs.

Doch sowohl bei Tanja als auch bei Lisa könnte es um dasselbe gehen: ihren eigenen SELBSTWERT, ihr individuelles Selbstwertgefühl.

Unter dem SELBSTWERTGEFÜHL verstehe ich die Bewertung meiner eigenen Person durch mich selbst, und zwar in Beziehung zu den Bewertungen durch andere. Dabei geht es immer auch um das Vergleichen. Deshalb sind aus meiner Sicht die Sozialen Medien in vielen Situationen un-sozial und schaden vehement dem Selbstwertgefühl von vielen wundervollen Charaktermenschen. Oder sie treiben Mädchen, die sich im Vergleich zur gefakten Identität als „zu fett“ oder „hässlich“ empfinden, in Magersucht oder Bulimie, Depressionen, Selbstverletzungen, bis hin zu Suizidabsichten.

Zurück zu Lisa und Tanja: Wer von beiden hat nun das geringere Selbstwertgefühl? Lisa? Weil sie sich – vielleicht vor Überrumpelung oder aus Höflichkeit – nicht wehren oder selbst behaupten konnte? Weil ihr vor Scham keine angemessenen Worte einfielen? Oder ist es Tanja?

Da die Personen fiktive Beispiele sind, bleibt die Wahrheit im Verborgenen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass beide Frauen mit ihrem verringerten Selbstwertgefühl zu kämpfen haben, nur hat sich Tanja vielleicht in ihrer Vergangenheit ein „dickeres Fell“ zugelegt und ist deshalb geübt darin, sich durch abwehrende Sätze vorsorglich zu schützen. Verteidigung ohne Angriff. Lieber vorher austeilen als hinterher (wieder) einstecken müssen – so wie sie das vielleicht vor langer Zeit schmerzlich erfahren hat.

Seit ich mir diesen Zusammenhang verdeutlicht habe, kann ich viel besser mit Kritik oder einer ungeschickten Äußerung umgehen, anstatt mich hinterher stundenlang mit Gedankenschleifen und ungünstigen Sätzen der Selbsterniedrigung zu quälen.

Wenn mich jemand z.B. beim Parken scheinbar grundlos anraunzt, weil in letzter Zeit angeblich „immer“ seine Ausfahrt eingeschränkt sei, hilft es mir, der Person mit freundlichem Gesichtsausdruck zuzuhören, gleichzeitig innerlich tief auszuatmen und mir selbst dadurch zunächst Ruhe zu verordnen. So spüre ich mittlerweile blitzschnell, ob ich ein Ventil für seinen Ärger oder tatsächlich im Unrecht bin. In beiden Fällen erspare ich mir unangenehme Gefühle, für die ich selbst verantwortlich bin, weil ich sie zulasse. Es heißt zwar: „Er ärgert mich“. Vielmehr müsste es lauten „Ich lasse den Ärger zu, den er in mir verursachen möchte.“

Wir haben so viel Macht über unsere Gefühle. Wir können sie steuern und entscheiden, ob wir negative Stimmungen von anderen übernehmen wollen oder nicht. Es sind zig Mini-Entscheidungen, die wir an einem einzigen Tag für uns selbst treffen können. Wir könnten uns fragen: „Will ich mir jetzt tatsächlich die Feier versauen lassen oder schnappe ich mir mein Glas und gehe auf die Terrasse oder wende mich anderen Personen zu?“

Das ist auf jeden Fall gesünder als sich in sinnlose Rechtfertigungstiraden zu verstricken. Aus reinem SELBSTSCHUTZ. Und auch das hat etwas mit SELBSTLIEBE und SELBSTMITGEFÜHL zu tun.

Im Zusammenhang mit psychischen Störungen fallen häufig zwei weitere Begriffe: SELBSTBESTIMMTHEIT und SELBSTWIRKSAMKEIT. Was bedeuten sie?

Wenn ich einen therapeutischen Prozess begleite und diese Bezeichnungen erwähne, ist das oft ein Anstoß für die beginnende Genesung. Die Kunsttherapie ist hierbei eine große Dienerin für mich, um depressive und erschöpfte Menschen wieder zurück in ihre Selbstwirksamkeit zu bringen. Durch das intuitive Malen eines Bildes oder das Formen einer Tonfigur – ohne Bewertung im Anschluss! – dürfen sie feststellen: Ich kann noch immer etwas in meinem Leben bewirken und bin in der Lage, produktiv zu sein und in meinem Umfeld Gutes zu bewirken und Sinnvolles zu erschaffen. Das sorgt gleichzeitig für eine Erhöhung des Selbstwertgefühls.

Und wie hörst du nun auf, dich selbst immer wieder „durch den Dreck zu ziehen“ und zu mehr Selbstliebe zu gelangen?

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: sei so oft wie möglich ehrlich im Inneren und authentisch im Außen. Sei dir selbst gegenüber nachsichtig und mitfühlend. Lerne, offen über akute Empfindungen zu sprechen und GANZ BEI DIR zu verweilen. Das funktioniert, wenn du bereit bist, deine aufkommenden Gefühle bewusst wahrzunehmen, sie zu fühlen und als Kompass für alltägliche Mikro-Entscheidungen zu deuten. Ja, auch die unangenehmen – die wir immer wieder wegdrücken und von denen wir uns vehement ablenken wollen. (lies dazu gerne meinen Blogartikel „Gefühle sind zum Fühlen da – 10 Strategien für den Umgang mit unangenehmen Gefühlen“ oder mein Buch „Wer leben will, muss fühlen – ein Weg aus Burnout mit Panik, zurück in ein erfülltes Leben“)

Doch ist es nicht auch riskant, so ungeschützt seine Gefühle zu zeigen? Nun, es gibt definitiv Menschen, die diese Offenheit ausnutzen oder sogar gegen uns verwenden. Ich erkenne das mittlerweile zügig, weil ich gelernt habe, mit mir selbst und meinen Gefühlen – meistens – im Einklang zu sein.
Ich muss nicht mehr von allen gemocht werden, um mein Ego streicheln zu lassen oder meinen Selbstwert daran zu messen. Auch Vergleiche sind Gift. Mittlerweile weiß ich, dass ich in Ordnung bin, wie ich bin: mit Ecken, Kanten, meiner Schusseligkeit und sichtbaren Nervosität. Von sabotierenden Zeitgenossen distanziere ich mich zunehmend. Das fühlt sich viel freier und wunderbar an!!!

Wie könntest du nun auf ein Lob oder Kompliment reagieren? Wie wäre es mit dem einfachen DANKE – und einem Lächeln? Auch mir gelingt es nicht immer, ein Lob anzunehmen. Dennoch bin ich mittlerweile – im umgekehrten Fall – viel engagierter, was verbale Wertschätzung gegenüber Mitmenschen und das Aussprechen eines Komplimentes oder Lobes anbetrifft – ob ich sie kenne oder nicht. Wenn ich z.B. einer wildfremden Person spontan rückmelde, dass sie eine sehr sympathische Ausstrahlung habe, kann das zwar unbeabsichtigt zu Irritationen oder Missverständnissen führen… Doch sehr oft ernte ich dafür tatsächlich ein DANKE, das irgendwo zwischen einer komplett überraschten und einer misstrauischen Gesichtsmimik zu finden ist. Auf jeden Fall fühle ich mich fast ausnahmslos besser, wenn ich jemanden mit netten Worten erreicht habe. Ich empfehle dir, das einmal auszuprobieren, vor allem, wenn du selbst wieder mal einen Tag der Selbstsabotage hast.

*Textquellen:

Zurhorst, Eva-Maria: „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“; Goldmann Leipzig 2009

Zurhorst, Eva-Maria: „Liebe kann alles – wie du mit deiner weiblichen Kraft zur Schöpferin deines eigenen Lebens wirst“; Goldmann Leipzig 2022

Duden https://www.duden.de/synonyme/sabotieren

Bildquelle:

https://www.pexels.com/de-de/foto/madchen-sport-kind-kampf-7045660

Willst du mehr darüber wissen?

Im November erscheint mein Buch „Wer leben will, muss fühlen – ein Weg aus Burnout und Panik zurück in ein erfülltes Leben“, in dem ich mehr von mir teile, z.B. auch, wie ich es geschafft habe, dass ich mich heute besser abgrenzen kann und selbstbewusster fühle.

Hier kannst du das Buch vorbestellen:

https://www.edition-forsbach.de/renate-schmitt/309/wer-leben-will-muss-fuehlen

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