„Ich muss Dir das jetzt unbedingt draufsprechen…:“
So begann die aufgeregte Sprachnachricht einer Bekannten, welche ich kürzlich erhalten habe. Zu jener Zeit unterzog sie sich gerade ihrer lange ersehnten Reha-Behandlung in einer Kurklinik.
Überrascht und gleichzeitig gespannt, drückte ich den Button mit dem Play-Symbol neben der Audiospur…denn meine Bekannte handelte entgegen ihres breit gestreuten Vorsatzes, in der Klinik das Smartphone bis abends KEINESFALLS anzurühren (es war übrigens Mittag):
„Stell´ Dir vor…“, so fügte sie ohne Pause an, “…heute war ich in einer Projektgruppe zur arbeitsbezogenen Stresskompetenz eingeteilt – meine befürchtete Vorahnung bestätigte sich sofort: Oh Gott, ich werde doch hoffentlich nicht kreativ sein MÜSSEN!!!“
Aus ihrer Stimme war eindeutig eine Mischung aus Entrüstung und Widerwillen herauszuhören…
„Wir waren in einer Gruppe zu fünft, bekamen einen Klumpen Ton vorgesetzt und MUSSTEN daraus gemeinsam ein Tier herstellen. Dabei durften wir nicht miteinander reden…“
Mit unverborgener Ironie fuhr sie ihren Bericht fort…
„Na SUPER… Ich habe dann zwei Katzenpfoten geformt…“.
Leider machte sie keine Anstalten, mir mehr über ihren persönlichen Prozess und das anschließende Gruppengespräch zu verraten. Doch sie weiter zu löchern, verbot mir mein Taktgefühl.
„Und – stell´ Dir vor, die Leiterin hat sich tatsächlich SOGAR als Kunsttherapeutin vorgestellt!!!“…
…was ja eigentlich im Jahr 2022 keine Rarität mehr in einer Reha-Klinik sein sollte, fügte ich unvermittelt in Gedanken dazu.
„DAS wollte ich Dir jetzt UNBEDINGT erzählen! Und ich hab´ dann wieder gemerkt: Neeeeeeeeeeeeeeeeee!!!…“
Ihre Stimme klang nun, als wäre sie zu einer unmoralisch angehauchten Aktivität aufgefordert worden: „…DAS mache ich nicht nochmal mit! Da fühle ich mich einfach zu etwas GEZWUNGEN, was mir überhaupt keinen Spaß macht.“
Während weitere Erzählungen über Tischnachbarn und das Wetter folgten, blieb ich mit meiner Aufmerksamkeit am vorherigen Thema haften. Dies hielt auch noch einige weitere Minuten, wenn nicht gar Stunden, an.
Ich versuchte herauszufinden, was mich so inne halten gelassen hatte. Nun, ihre in knapp zwei Minuten verpackten Sätze hatten in mir mehrmals ungute Gefühle ausgelöst:
Doch was genau hatte in mir zu diesem Grummeln in der Magengegend geführt?
Waren es die Wörter „MUSSTE“ und „GEZWUNGEN“?
Ich forschte näher nach, indem ich die Sprachnachricht nochmals abspielte und dabei tief in mich hinein spürte…
So kam ich zu folgender Antwort:
1. KUNSTTHERAPIE ist noch viel zu wenig als ernstzunehmende Therapiemaßnahme etabliert, weder stationär noch ambulant.
2. KREATIV SEIN und MÜSSEN schließen sich für mich von vornherein aus. Denn: Kreativität fließt entweder wie selbstverständlich aus mir heraus oder ich bin eben gerade nicht in der Stimmung, um mich mit Farbe, Pinsel, Stifte oder – wie in diesem Fall – mit einem Klumpen Ton zu beschäftigen.
Doch ich kann eigenaktiv und gezielt und bewusst Zeit und Raum schaffen, um mich selbst oder einen Menschen zum Kreativsein ANZUREGEN.
Das wiederum KANN (nicht MUSS) innere Prozesse in Gang setzen, die heilsam sein können.
Und DAS ist die eigentliche KUNST der Kunsttherapie.
Das ist quasi die MAGIE von Kunsttherapie.
Denn rein wissenschaftlich lässt sich die gesundheitsfördernde Wirkung von Kunsttherapie – ähnlich wie die Wirkung von bestimmter Musik oder das intensive emotionale Erleben bei spontanen Naturphänomenen – eben noch nicht hinreichend erklären.
Doch sie WIRKT! Basta!
Die Krux an einer klinischen Therapiemaßnahme ist, dass sie nicht selten PAUSCHAL VERORDNET wird, ohne ausreichend auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Patientenschaft achten und eingehen zu können: Kunsttherapie ist hier oftmals nur Teil eines wöchentlichen PROGRAMMS, das angeboten wird und zwischen dem Massagetermin oder dem Bogenschießen möglichst „besucht“ und „abgearbeitet“ werden SOLLTE, weil das vielleicht neben den klassischen Therapieangeboten AUCH dazu beitragen kann, ganz schnell „wieder arbeitstauglich“ zu werden. Kreativsein auf Knopfdruck sozusagen. Kann das funktionieren? Wohl kaum…
Mein Fazit lautet:
Im Zusammenhang mit der Kunsttherapie bedarf es mehr Aufklärung darüber, was sie eigentlich GENAU ist und wie wertvoll und heilsam sie sein kann. Und dass es dabei nicht um ein zu bewertendes Endprodukt geht, sondern um Emotionen und Erkenntnisse, die sich während des Malens oder Gestaltens mit Ton ergeben. Mitunter gelangen Patienten/-innen über ihre Bilder – bereits während des Prozesses und im anschließenden Gespräch darüber – sogar schneller an ihre „Knackthemen“ und finden in diesem TRIALOG (PAT-BILD-TH) zügiger überraschende Lösungen, als das in einer reinen Gesprächssituation (PAT-TH) der Fall wäre.
Kunsttherapie möchte ganz bewusst als Methode – sowohl im klinischen als auch im ambulanten Praxisbereich – verstanden und GEWÄHLT WERDEN DÜRFEN und nicht versuchsweise „verordnet“ sein, weil vermeintlich „Malen an sich ja jedem gut tut“, – …was im Übrigen nicht immer stimmt, wie dies zum Beispiel bei meiner Bekannten der Fall sein könnte. Vielleicht jedoch können sich manche Personen – so wie sie – nur widerwillig oder gar nicht auf Kunsttherapie einlassen, weil ihnen die Angst vor Bewertung (wie früher in der Schule) und die hartnäckige und fatale Überzeugung „Ich kann nicht malen“ im Wege stehen?
Kunsttherapie braucht mehr ANSEHEN in der therapeutischen Landschaft und – im zweideutigsten Sinne – mehr Fokus – damit sie als gleichwertige Therapiemaßnahme und nicht nur als „nettes Zusatz-Schmankerl zum Sich-Wieder-Mal-Ausprobieren“ fungiert.
Falls Dich das Thema näher interessiert: siehe Kunsttherapie