Zu Unrecht ist die Kunsttherapie bisher in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und innerhalb der empfehlenden Ärzteschaft kaum als nachhaltig heilungsfördernde Therapiemethode sichtbar und ist daher in der Regel primär aus stationären Klinikaufenthalten bekannt. Und dort wird sie in vielen Häusern eher nebensächlich behandelt und bestenfalls – neben Massagen, allgemeinen gestalterischen Einheiten und weiteren Extras wie z.B. Bogenschießen – als ergänzende Entspannungsmöglichkeit inmitten eines wöchentlichen Therapieprogramms angeboten. Auch ambulante Praxen für Kunsttherapie sind noch immer eher rar. Und daher wird es jetzt Zeit, über einige bestehende Mythen rund um die Kunsttherapie aufzuklären:
Mythos 1:
Für eine Kunsttherapie brauche ich künstlerisches Talent und Vorerfahrung
Falsch: In der Kunsttherapie ist der Prozess des Gestaltens im Mittelpunkt und nicht die künstlerische Qualität des entstandenen Bildes!
„Ich kann doch gar nicht malen!!!“
Was steckt dahinter?
Oft sind innere Blockaden und Hemmungen der Grund. Denn:
Der Begriff Kunst hat auf viele Menschen noch immer eine elitäre und einschüchternde Wirkungsweise und wird häufig einer eher als intellektuell geltenden Gesellschaft mit vermeintlich höherem Bildungs- und Einkommensniveau zugeordnet.
Es besteht Furcht vor äußerer Bewertung und Abwertung der eigenen künstlerischen Gestaltung, was meist durch negative Erfahrungen in der eigenen Schulzeit begründet ist. Nicht selten berichten Personen in den Fünfzigern, dass sie seit ihrem Kunstunterricht in der Schule nie mehr gemalt hätten, obwohl sie durchaus von Zeit zu Zeit immer wieder eine gewisse Sehnsucht danach spürten.
Der individuellen künstlerischen Gestaltung steht häufig Perfektionismus oder ein eigener zu hoher Anspruch im Weg, da sie sich bedauerlicherweise zu oft an prominenten Künstlern messen, die ihr Handwerk über Jahre hinweg studiert und technisch verfeinert haben.
Mythos 2:
Die Kunsttherapeutin weiß alles über mich,
schon bevor ich mein Bild fertig habe
Falsch: Kunsttherapierende begleiten den Gestaltungsprozess möglichst wertfrei mittels einer empathischen Fragetechnik, gehen behutsam mit ihrem Klienten oder ihrer Klientin auf eine Entdeckungsreise und erarbeiten dabei anhand des entstandenen Produkts gemeinsam individuelle Lösungsansätze.
„Vielleicht ziehe ich mich da ja vor der Therapeutin oder dem Therapeuten – bildlich gesprochen – nackt aus, ohne es zu wissen?“
Was steckt dahinter?
Eine Person, die Kunsttherapie in Anspruch nimmt, geht hier von der Annahme aus, dass alles, was sie auf das Papier bringt, eine klar umschriebene Bedeutung hat, die der Kunsttherapeut oder die Kunsttherapeutin aufgrund der Ausbildung bereits kennt und (insgeheim) sofort interpretiert. Dies wird von der betreffenden Person eventuell als bedrohlich oder zumindest als Nachteil empfunden. Möglicherweise fühlt sie sich dadurch noch verletzbarer oder hat Furcht, komplett die Kontrolle über sich abzugeben.
Doch NEIN: das ist so nicht der Fall! Und JA: in der Regel beinhaltet das Fachwissen der ausgebildeten Kunsttherapierenden – neben den psychologischen Inhalten und technischen Grundfertigkeiten – auch Kenntnisse über die Symbolik von Darstellungen, Urformen und Farben. Möglicherweise werden sie dieses Wissen als vorsichtigen Impuls anbieten und behutsame Deutungsvorschläge machen, die von der therapieerhaltenden Person jedoch in völliger Freiwilligkeit entweder bestätigt oder aber dementiert werden dürfen. Entscheidend ist, was der Klient oder die Klientin darin sieht und welche individuelle Bedeutung dem jeweiligen Element zugeordnet wird. Dies darf sich durchaus auch vollständig von den üblichen Deutungen unterscheiden. Der Urheber und die Urheberin des Kunstwerks behält stets die Deutungshoheit über das entstandene Objekt.
Mythos 3:
Kunsttherapie ist anstrengender als eine reine Gesprächspsychotherapie
Falsch: Der gestalterische Prozess, sobald man sich darauf einlassen konnte, wird als spannungsregulierend und entlastend empfunden.
„Therapie…okay, wenn es denn sein muss, …aber dann auch noch KUNSTtherapie?“
Was steckt dahinter?
Der Zusatz KUNST suggeriert eventuell, NOCH MEHR MACHEN zu müssen, was z.B. bei einer Antriebsschwäche innerhalb einer depressiven Episode oder einem Erschöpfungssyndrom als schier unmöglich erscheint.
Ist Kunstgestaltung in der Therapie also ein zusätzlich belastender Faktor? Die Erfahrungen aus zahlreichen Kunsttherapie-Sitzungen widersprechen dem glaubhaft: Kunsttherapie gilt als NICHT anstrengender – im Sinne von zusätzlich energieraubend.
Nicht selten finden die Betreffenden bei einer kunsttherapeutischen Sitzung sogar viel rascher einen Zugang zu ihren Emotionen, verborgenen Persönlichkeitsanteilen, inneren Blockaden und gesundheitsfördernden Ressourcen. Dadurch gelangen sie oftmals mitunter schneller zu dem Kern ihrer Problematik als bei einer reinen Gesprächspsychotherapie.
Abschließend ist zu sagen: Der Begriff Mythos kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Erzählung. So bleibt zu hoffen, dass über die Kunsttherapie in der Öffentlichkeit künftig noch viel mehr erzählt wird: Und zwar Erzählungen mit der klaren Botschaft, dass Kunsttherapie als Therapiemethode genauso selbstverständlich sichtbar gemacht und empfohlen werden sollte, wie die von medizinischen Fachkräften und Krankenkassen anerkannten Standard-Therapieverfahren.
Eine gute Aufklärung über das, was Kunsttherapie wirklich bedeutet. Sehr hilfreich!
Herzlichen Dank!